Was war nochmal ein Wendepunkt in der Mathematik?
Der Verlauf einer mathematischen Funktion verändert am Wendepunkt sein Krümmungsverhalten. War es erst eine Linkskurve, neigt sich die Kurve nach dem Wendepunkt nach rechts und umgekehrt.
In meinem Leben gab es einige solche Richtungswechsel. Jedes Mal schienen sie von außen betrachtet nicht gerade angesagt oder sinnvoll. An manchen Stellen habe ich dabei das angestrebte Ziel nicht erreicht.
Doch würde ich es aus meiner heutigen Sicht als Scheitern ansehen?
Ganz eindeutig, nein! Im Gegenteil, ich bin sogar sehr dankbar dafür!
Bis zum 01.September 2024 gibt es eine von Susanne Y. Richard ins Leben gerufene Blogparade mit dem Thema „Das war der positive Wendepunkt in meinem Berufsleben“. Da passt dieser Beitrag doch perfekt dazu!
Von Wissenschaft zur Mutterschaft
Es kommt mir fast so vor, als wäre es in einem anderen Leben gewesen, so weit entfernt scheint mir meine Zeit als Wissenschaftlerin am Institut für Neurophysiologie, Sinnes- und Verhaltensphysiologie bei den Biologen. Ich beschäftigte mich intensiv mit Neurophysiologie und Verhalten eines kleinen Wasserkäfers (Gyrinus der Taumelkäfer). Der kleine Kerl, der in den Tümpeln der Rheinauen zu finden war, besitzt vier Augen, deren Möglichkeiten und Bedeutung ich herauszufinden hatte. Drei Jahre fand ich es durchaus spannend, tief einzutauchen in die Grundlagenforschung der Insekten Sensorik und Neurophysiologie.
Dann wurde ich schwanger.
Das war nun wirklich ein Wendepunkt – sogar ein krasser Abbruch meiner wissenschaftlichen Laufbahn, die ich auch später in der Form nicht nochmal aufnahm.
Zunächst war ich schon immer wieder dabei, mich unter Druck zu setzen, irgendwie daran wieder anknüpfen zu müssen. Das kann doch nicht sein „nur wegen der Kinder“ als emanzipierte Frau eine solche Chance aufzugeben!
Doch heute sage ich, es war sehr folgerichtig und auch konsequent, so intensiv wie ich die wissenschaftliche Forschung gelebt habe auch die Mutterschaft zu leben.
Es war mir dadurch möglich, die Kinder (insgesamt dann drei) so zu begleiten, wie ich das gerne wollte. Zum Beispiel profitierte ein Elterninitiativ-Kindergarten der ganz besonderen Art (Initiative Kunst und Kindergarten e.V.) viele Jahre von meiner Energie, mich hier zu 100% einzusetzen und dieses Projekt in Zeiten ständig wachsender Vorschriften im Kinderbetreuungsbereich zukunftsfähig zu entwickeln.
Kreative Projekte mit Kindern im Raum, mit Klang, in der Natur entstanden.
Durch meine intensive Beschäftigung mit Lernen, Lerntypen- und Strategien während der Schulzeit der Kinder, erhielt ich ein tiefes Verständnis für die unterschiedlichen Bedürfnisse, die mir heute in meinem Coaching und in der pädagogischen Arbeit sehr von Nutzen sind.
Von der Theorie zur Praxis
Wie ich von der Neurowissenschaft im Labor zur angewandten Stimmphysiologie kam
Natürlich war ich weiterhin immer interessiert an naturwissenschaftlichen Themen auch in der Zeit, als die Kinder noch klein waren. Das Bedürfnis, ganz in mein Labor zurückzukehren, hatte ich allerdings nie. Eher das Bild, ich müsste doch, ich kann doch nichts Unfertiges zurück lassen.
Doch wer sagt eigentlich, wann etwas „fertig“ ist?
Ist es das Zertifikat, das Diplom, die Promotion?
Es ist ganz klar, dass es ein schönes Zeichen ist und ich könnte inzwischen wohl mein Studio mit diesen „Beweisen meiner Fertigkeiten“ tapezieren. Doch was ich wirklich kann, brauche und zur Anwendung bringe, das steht nicht auf diesen Zetteln.
Ich beschäftigte mich in dieser Zeit intensiv mit Gesang, etwas, was mir in der Zeit als Wissenschaftlerin aus Zeitmangel fast verloren ging.
Nachdem unsere jüngste Tochter abgestillt war, machte ich mich auf die Suche nach einer Fortbildung, die etwas mit Gesang zu tun hatte, allerdings ohne den Stress eines „Vorsingen müssens“, wie das bei Meisterkursen meist der Fall ist, dazu hatte ich zu jener Zeit nicht den Mut und die Energie.
So landetet ich glücklicherweise am Lichtenberger® Institut für angewandte Stimmphysiologie, ohne zu wissen, was mich hier erwartet.
Diese Geschichte habe ich im Blog „Burnoutgefahr Adieu – willkommen im klingenden Leben“ beschrieben.
Damit war wieder ein Wendepunkt in meinem Leben erreicht. Die „Familienkurve“ wendete sich in Richtung selbständiges Business als Stimmpädagogin. Wie großartig dieser Wendepunkt war, stellte sich im Laufe der folgenden Zeit heraus.
Mit der an der Physiologie orientierten Stimmarbeit, entwickelte sich meine eigene Stimme unglaublich und tut es heute noch! Dafür bin ich täglich unendlich dankbar! Es ist wirklich zum Staunen und Freuen, was alles an Potentialentfaltung mit dieser Arbeit möglich ist!
Es war ein Wendepunkt, der mir ermöglichte die beiden für mich so essentiellen Themen in meinem Leben zu verbinden: die naturwissenschaftliche Herangehensweise, die Neurophysiologie sowie die Liebe zur Musik, die Stimme, der Ausdruck. So entwickelte ich meine Selbständigkeit als Stimmpädagogin, erweiterte nach und nach meine Fähigkeiten und Erfahrung, so dass ich es heute mehr denn je liebe, Begleiterin dabei zu sein, eine Stimme zum Erblühen zu verhelfen, Atem und Nervensysteme fein zu regulieren.
Online versus Offline
Von „Meine Arbeit funktioniert nur offline“ zur Wertschätzung der neuen Möglichkeiten
Lange Zeit war es für mich undenkbar, meine Arbeit ohne den direkten Kontakt zu den Menschen im gleichen Raum zu machen. Meine Ohren nehmen im Klang die sehr feinen Unterschiede wahr, mein Körper die Spannungszustände, die Vibration, die Resonanz im Raum und im Körper. Wie soll denn das möglich sein in einer technischen Übertragung? Gleichzeitiges Tönen oder Singen und das Erleben von Intervallen, Interferenzen, Resonanzen ist nur sehr eingeschränkt möglich.
Doch dann kam auch hier ein Wendepunkt, den ich so nie erwartet hätte. Durch die „Gesundheitskrise“ Anfang 2020 durfte ich meine Arbeit nur noch sehr eingeschränkt ausüben, lockdown und Angst vor Aerosolen machten ein Umdenken unausweichlich.
Egal wie ich vorher darüber dachte, jetzt musste ich es einfach ausprobieren, was denn online per Videokonferenz oder sogar einfach per Telefon-Coaching möglich ist. Und auch wenn ich nach wie vor unglaublich gerne in direktem Kontakt mit den Menschen bin, bei mir im Studio oder in meinen Seminaren, so musste ich doch erkennen, dass ganz schön viel möglich ist!
Unglaublich, wie sich feine Wahrnehmung entwickelt, selbst wenn die akustische Übertragung durch schlechte Technik oder schlechte Internetverbindung nicht besonders ergiebig ist.
Und so ist aus der Not heraus ein neues Feld entstanden.
Ich habe nun die Möglichkeit, mit Menschen zu arbeiten, die nicht vor Ort sind.
Gerade bei der Arbeit mit Sprechstimme ist es durchaus sehr gut und qualitätsvoll möglich miteinander zu arbeiten.
Was für ein Geschenk!
Liebe Katrin,
Dein Lebensweg ist ja wirklich sehr interessant. Ich bin auch jemand der immer denkt, dass man alles abschliessen muss, aber je länger desto mehr frage ich mich, ob es nicht auch ganz wertvoll ist, rechtzeitig auszusteigen, wenn etwas nicht mehr passt.
Ich finde auch, dass in unserer Gesellschaft zuwenig gesungen wird und wir da noch etwas entspannter werden könnten.
Liebe Grüsse, Susann
Pingback: Voice Embodiment – Transformation durch Stimmentwicklung - VESA Stimmcoaching
Liebe Katrin, eine sehr bewegende Lebensgeschichte! Dass Du ausserdem als Biologin geforscht hast, wusste ich bis jetzt noch nicht. Es spricht für Deine Neugier und Dein Interesse. Gesang kann gar nicht verkehrt sein als Lebensweg, dafür ist er einfach viel zu schön. Man entdeckt Seiten an sich, die man vorher gar nicht so kannte und dafür ist das Leben im besten Fall ja auch da. Weiter so!
Liebe Grüße, Bettina
Vielen Dank, liebe Bettina!
Ja, wirklich, wie wahr: Gesang kann nie verkehrt sein!
Sich kennen- und wahrnehmen lernen in großen Tiefe und Intensität – mutig sich ungeschützt zeigen mit der Stimme, das ist ein sehr lohnender Weg.
Vielen Dank für Deine Stimme!