Was für ein wunderbar kreativer Zustand – alles um mich herum wird unwichtig, Ablenkung greift nicht mehr, die Bewegung fließt einfach, ist leicht und effektiv, die Töne kommen wie von einem anderen Stern🌟.
Es ist ein Moment des Glücks!
Vermutlich kennst Du diesen Zustand, vielleicht beim Sport, beim Schreiben, Malen oder auch beim Musizieren. Es gibt einen englischen Begriff dafür: Flow-Erleben, zu Deutsch also ein fließendes Erleben.
Was das genau ist, wie und wann wir dahin kommen können möchte ich im ersten Teil beleuchten. Was meine aktuellen Flow-Erlebnisse sind, erzähle ich im zweiten Teil.
Die Idee für diesen Artikel kam mir bei der Themensuche für meine Blogparade im Sommer 2024 initiiert von Judith Peters. Schreib Deine Erfahrung mit Flowerleben schreib gerne in
Was ist ein Flow-Zustand?
Um in einem Zustand zu sein, in dem wir Höchstleistung vollbringen können und dabei uns auch noch Entspannung und Glück erleben, braucht es ein Nervensystem, das sich sicher fühlt. Wenn wir gestresst sind, ist uns dieses Erleben nicht möglich. Dabei ist es gleichgültig, ob die Gefahr real ist, als stünde der gefährliche Tiger um die Ecke, oder ob es mehr eine subtile Wahrnehmung ist, eine alte Angst, ein ungünstige Situation, in der wir uns nicht sicher fühlen. Das Großhirn – das Mindset – kann dann lange dagegen sprechen und uns sagen, dass alles nicht bedrohlich sei. Es wird nichts nützen. Das Autonome (Vegetative) Nervensystem hat längst die Führung übernommen und schützt uns auf seine altbewährte Art, die uns in Gefahr immer hat überleben lassen.
Flight, Fight oder Freeze
Dieser alte Teil unseres Nervensystems steuert ganz zuverlässig und effektiv Verdauung, Herzschlag, Atemfrequenz und übrigens auch die Stimmfunktion. Wir können es nicht wirklich „kontrollieren“ und steuern. Das vegetative Nervensystem lässt sich in zwei Teile untergliedern:
das sympathische und das parasympathische Nervensystem.
Der Sympathikus ist für unsere Mobilisation zuständig: Orientierung, Bewegung, Wachsamkeit und bei Gefahr Flucht- und Kampfreaktionen sind hier verankert. Es ist ein sehr schnelles Reaktionssystem.
Es ermöglicht uns zwei sehr effektive Reaktionen bei (realer) Gefahr: Kampf (Fight) oder Flucht (Flight).
Dazu wird automatisch der Herzschlag und die Atemfrequenz erhöht, alle momentan nicht nötigen Körperaktionen (wie Verdauung, reden, singen) heruntergefahren und auf später verschoben.
In unserer heutigen Umgebung wollen wir im Kampfmodus Sicherheit durch Angriff und überzogene Kontroll- und Machtausübung herstellen. Lange Monologe ohne zuzuhören, übermäßiges Kritisieren, Einschüchterung, Wutausbrüche und Gewaltanwendung sind beispielhafte Verhaltensweisen.
Im Fluchtmodus wollen wir Sicherheit wiedergewinnen durch Perfektion, Aktionismus, ständiges Sorgen und Gedankenkreisel, Süchte, den Wunsch nach ständiger Kontrolle.
Der Parasympathikus, auch Ruhe-Nervensystem besteht hauptsächlich aus dem Nervus Vagus, dem 10. Hirnnerv. Er kann wiederum in zwei Zweige differenziert werden, den dorsalen (hinteren) und ventrale (bauchseitigen, vorderen) Vagus.
Der dorsale Vagus ist zuständig für unsere inneren Organe im Bauchraum, Atem, Wach-, Schlafrhythmus und Immunfunktionen. Er reagiert langsam, bei Gefahr wird er auf Minimalbetrieb geschaltet bis zur völligen Schockstarre. Sprachlosigkeit, Taubheit, Dissoziation, Ohnmacht, Hilflosigkeit, Passivität sind die Folge dieses Erstarrungsreflexes (Freeze). Auch dieser Zustand ist nichts ‚Schlechtes‘ sondern absolut Überleben sichernd, wenn Flucht oder Kampf nicht möglich sind und man durch die Starre nicht entdeckt wird oder Schmerzunempfindlichkeit eintritt.
Im Freeze versuchen wir die Sicherheit durch Vermeiden oder Nichtwahrnehmung herzustellen. Wir erleben das, wenn wir uns in eine Fantasiewelt zurückziehen, in den sozialen Medien versumpfen oder im Serien-Marathon schwelgen, wenn wir keine Entscheidungen treffen wollen, nicht ins Handeln kommen können.
Alle drei Zustände sind durchaus auch positiv:
- Kampfmodus ist auch Durchsetzungskraft
- Fluchtmodus ist auch die Fähigkeit schnell Wege und Möglichkeiten zu finden, statt immer in Konfrontation gehen zu müssen
- Erstarrungsmodus könnte auch heißen, mal unangenehme Situationen aushalten zu können
Der Knackpunkt liegt allerdings darin, dass die in der passenden Situation kurzfristig sinnvollen Reaktionen zum Problem werden, wenn sie länger anhalten.
Wenn wir im Freeze bleiben, bleibt auch der sympathische Stress durch fehlende Kampf- und Fluchtreaktion unter dem erstarrten Zustand erhalten.
Das heißt, der Mensch wirkt nach außen passiv, erschöpft, energielos aber unten drunter brodelt ein Vulkan still vor sich hin. Und wehe, der Deckel hebt sich!
Der vierte Zustand: Flow
Der ventrale Vagus regelt unser soziales Verhalten. Atmen, Stimmgebung, Gesichtsausdruck, Augenbewegungen, Hören, Orientierungsreaktionen des Kopfbereiches – alles, was mit sozialer Interaktion zu tun hat, kommt hier zur Wirkung. Er hemmt den Einfluss des sympathischen Nervensystems (Vagusbremse).
Ein freundlicher Gesichtsausdruck oder der beruhigende Klang einer Stimme kann die gesamte Organisation eines menschlichen Organismus verändern kann.
Wenn wir zur Ruhe kommen und uns sicher fühlen, dann können wir in diesen paarsympathischen Zustand kommen, der es uns ermöglicht motorisch ruhig aber sensorisch absolut wach und angenehm erfrischt zu sein.
Und nun sind wir in der Lage uns ganz unserer momentanen Tätigkeit hinzugeben, wir können Zeit und Raum um uns herum vergessen. Da weder Körper noch Geist Energie dafür verbrauchen, uns Sicherheit zu verschaffen, haben wir die ganze Kapazität frei für eine enorme Leistungsfähigkeit. Wir erleben Flow.
Das geniale daran ist, dass sich dabei auch noch unser Wohlbefinden erhöht. Unsere Zufriedenheit und Selbstwirksamkeit wird enorm befördert – je öfter wir in ein Flowerleben kommen, dest mehr.
Doch wie kommen wir dahin, welche Voraussetzungen können wir schaffen, um mehr Flow zu erleben?
Wie kommen wir in ein Flow-Erleben?
Ob wir in ein Flow-Erleben kommen ist abhängig davon, wie passend eine Aufgabe für uns ist. Wenn wir uns überfordert fühlen und dadurch Stress oder Angst entsteht oder wenn wir unterfordert sind und gelangweilt kommen wir nicht in einen Flow.
Der Kanadier Mihály Csikszentmihályi hat Flowerleben intensiv untersucht und in seinem Flow-Modell die psychologischen Zustände in Bezug auf unsere Herausforderung und Fähigkeiten dargestellt. Danach können wir davon ausgehen, dass Flow Zustände erreicht werden, wenn sowohl die Fähigkeiten als auch die Herausforderungen hoch sind und sie miteinander im Gleichgewicht sind.
Also herausfordernd genug aber nicht beängstigend.
Freude an der Aufgabe und ein schönes Ziel ist ebenfalls Flow-fördernd. Ablenkung verhindert ein Flow-Erleben, eine unmittelbar im Tun erlebte Wirksamkeit oder Erfolg dagegen, lassen uns ganz in der Aufgabe aufgehen. Dann verlieren wir die Wahrnehmung für Raum und Zeit, wir verschmelzen ganz mit der Handlung.
Meine Flow Erlebnisse
Immer wieder entstehen solche Momente des Flow im Alltag. Dann staunen wir, was alles möglich ist. Plötzlich scheint es keine Hürden mehr zu geben. Leichtigkeit und Fokus sind da, Arbeit wird zum Spiel.
Aus drei verschiedenen Lebensbereichen fallen mir direkt Beispiele ein für dieses Erleben.
Stimme im Flow – Wie ich zum Klangkanal werde
Beim Umgang mit der Stimme wird sehr schnell deutlich, ob ich in einem eher angespannten Modus bin oder ob mein Ruhenervensystem am Zug ist. Der Kehlkopf ist parasympathisch innerviert, das heißt wenn ich mich im Stressmodus befinde, reagiert die Stimme zickig. Entweder sie wird eng und schrill oder zittrig und wenig kraftvoll. Wenn ich aber ruhig und dennoch wach, entspannt aber innerlich aufgerichtet bin, kann die Stimme frei schwingen.
Und dann kommen Klänge aus mir, die mich staunend hinterlassen. Aus welcher Quelle kommen denn die? Wie kann dieser Körper solche Klänge ertönen lassen?
Und so kann auch ein freier Melodiefluss beim Improvisieren entstehen.
Ein Klang ergibt den nächsten, irgendwoher kommt eine Tonabfolge, eine Melodie entsteht, zerfällt wieder, mündet in einen einzigen Klang, der schon alles enthält um sich dann wieder in eine weitere Melodie zu ergießen. Wenn das passiert, dann gibt es keine Zeit, keinen Raum, nicht ich singe sondern es tönt oder singt aus mir heraus. Kein Planen oder Nachdenken stört den Fluss, keine wertende Kontrolle was schön oder passend ist verhindert den kreativen Prozess.
Auch beim Musizieren von komponierter Musik kann ich in einen Flow kommen. Wenn ich mich ganz dem Erleben der Schwingung hingebe, wenn nicht das Ergebnis eines vorgegebenen Klangbildes oder einer perfekten Performance im Vordergrund steht, dann bin ich frei, um die Musik entstehen zu lassen. Es musiziert, ich bin dann Kanal für eine Komposition, einen Klang. Die Abfolge der Töne kommt wie von alleine, die Interpretation kommt von innen heraus, sozusagen ohne mein zutun. Dann kann Erregung und Ergriffenheit entstehen, die aus der Musik heraus kommt, nicht gemacht, nicht aufgesetzt sondern aus sich heraus.
Dann entsteht Schwingung, die wohltuend und heilend ist.
Bewegung im Flow – Wenn es einfach geht
Wenn ich in den Bergen beim Wandern unterwegs bin oder auch nur bei einem ausgiebigen Spaziergang hier in der Umgebung, dann gibt es immer wieder diesen Zustand, dass sich die Beine wie von alleine bewegen. Die Bewegung ist leichtgängig, der Atem fließt, es fühlt sich freudig und beglückend an, so unterwegs zu sein.
Es geht nicht um das Ziel, das es zu erreichen gilt, die Bewegung als solche, das Tun, der Weg sind es, die meine Aufmerksamkeit bekommen.
Was verändert sich dann in meiner Wahrnehmung?
Ich bemerke, wie mein Blick weich und weit gestellt ist, nicht starr auf den Weg geheftet, die Schritte brauchen nicht mehr die visuelle Kontrolle. Ich bin berührt von der Schönheit der Natur, der Farbenpracht und Formenvielfalt. Obwohl ich seit meiner Kindheit nicht besonders scharf sehen kann, nehme ich die Brille ab und genieße das, was meine Augen erreicht auf ganz andere Weise.
Dann beginnt meine Nase feine Düfte wahrzunehmen. Hier scheint irgendwo Waldmeister zu wachsen, der süßliche Duft erreicht meine inneren Räume. Die Blüten einer Linde sind schon von Weitem zu riechen. Und ist da nicht auch noch irgendwo Bärwurz zu finden? Die Nase ist schneller als die Augen es entdecken können.
Und so gehen die Füße ihren Weg, ich bemerke gar nicht, wie eine große Steigung mühelos überwunden ist. Die Zeit spielt keine Rolle mehr.
Da entdecken Nase und Augen fast gleichzeitig reife Heidelbeeren und leuchtend rote Hinbeeren am Wegesrand. Die Freude über diese feinen fruchtigen Geschmacksanregungen ist groß in meinem Gaumen!
Auch meine Ohren nehmen mehr und mehr Geräusche wahr. Welche Vögel melden sich auf meinem Weg? Eine Goldammer ist es, die mich begleitet und in der Ferne höre ich die Antwort einer zweiten. Die Grillen zirpen um mich herum und regen mit ihrer hohen Frequenz meine Energie besonders an.
Ein schmaler Graspfad führt bergauf, die Hände lieben die zarte Berührung durch die langen Rispen der wogenden Süßgräser, die Tröpfchen des vergangenen Regens kühlen angenehm meine Beine.
Durch diese intensive und vielfältige sensorische Wahrnehmung wird ein Gehen möglich, das jenseits von Anstrengung und Kraftverbrauch ist. Mein ganzer Körper ist erfüllt von einem ganzheitlichen Erleben.
Nach einiger Zeit kommt dann doch eine Schwere in die Beine und der Geist meldet Müdigkeit. Da hilft mir wieder die Aufmerksamkeit auf die Sensorien des Körpers. Wie gehe ich denn gerade? Kann der Impuls für meinen Schritt vom Becken ausgehen, die Füße folgen einfach? Oder ist es das Brustbein, das die Führung übernimmt? Das ist ein herrliches Spiel, das wieder Leichtigkeit in die Bewegung bringt.
Am Ende scheint dann der Bewegungsflow doch von der Anstrengung gelöscht zu werden, als der Weg noch einmal bergan führt und es statt 1,5 km doch noch 4,5 km zu gehen sind. Da hilft mir ein kleines mentales Siel darüber hinweg: wie wäre es, wenn nicht ich gehe den Weg, sondern der Weg geht mich? Ein bisschen so wie die Fließbänder an den Flughäfen, die die Wege zwischen den Gates verbinden. Es ist wirklich erstaunlich, aber dieses Gedankenspiel funktioniert wirklich! Und schwupps ist das letzte Stück des Weges auch noch geschafft.
Arbeit im Flow – Wenn die Texte einfach fließen
Manchmal, wenn ich mich ans Schreiben setze, kommen die Worte gerade so in die Finger, da scheine ich nicht nachdenken zu müssen, es fließt einfach aus mir heraus in die Tastatur. Meist dauert es allerdings eine ganze Weile, bis ich in diesen Zustand komme. Zu sehr steht oft im Vordergrund das Müssen und damit scheint der Weg verbaut zu einem Flow-Erleben beim Schreiben. Wenn der Artikel fertig werden muss, wenn der Newsletter raus muss, wenn ein Social Media Post geschrieben werden muss, dann steht das meinem Schreibflow absolut im Weg. Wenn ich dieses Müssen loslassen kann, wenn ich mich einfach dem Tun hingeben kann und meinen Geist freigebe für das was kommt, dann kommt irgendwann der Zustand des „Es schreibt sich“ anstatt „Ich muss schreiben“.
Dieser Blogartikel entstand nicht in allen Teilen im Flow.
Teilweise schon, da floßen die Worte und die Abfolge der Teile ergab sich von alleine. Bis ich nach der Idee zu diesem Thema zur Aktion kam und auch zwischendurch gab es Stockung und unkonzentrierte Augenblicke, in denen ich mich nur zu gerne ablenken ließ. Doch insgesamt bestätigt sich für mich, dass die Freude am Tun, der Wegfall von dauernder Wertung und das Vertrauen auf eine Verbindung zu einer unerschöpflichen Quelle von Inspiration und Kreativität mich immer wieder Flow erleben lässt.
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